Brüsseler Straße 14

Brüsseler Straße 14

Als wir im Herbst 2016 erfuhren, dass wir Eltern werden würden, war klar, dass die 1.5-Zimmer-Wohnung, in der wir seit 7 Jahren wohnten, zu klein sein würde. Wir wollten möglichst im Wedding bleiben – zur Not über den Kanal nach Moabit ziehen. Nachdem wir schon ein paar Monate sorgenvoll die Immobilienbörsen im Internet überflogen hatten, begannen wir im neuen Jahr (Januar 2017) mit den Wohnungsbesichtigungen. Die erste Besichtigung fand an einem Samstag mit 50 anderen statt. Der Makler: „Alle mal herhören! Studenten heben die Hand… Ihr könnt gehen. Wer hat keinen deutschen Pass? Das glaube ich nicht – haben Sie wirklich alle deutsche Pässe?…“. In einer anderen Wohnung musste man bei den Maklern in Einzelaudienzen vorsprechen und sich dafür stundenlang anstellen. Der Wohnungsmarkt in Berlin war seit der letzten Suche vor 7 Jahren nicht nur finanziell anstrengender geworden.

Vor dem Zusammenziehen hatten wir erfahren, was es heißt, wenn das Haus an Investoren verkauft wird, die maximale Rendite machen wollen und daher die billigste (und oft schlechteste) Hausverwaltung engagieren. Daher entschieden wir, dass ein privater Vermieter eines unserer Hauptkriterien war. Auf schöne Wohnungen, bei deren Besichtigung wir erfuhren, dass die Wohnung Teil eines „Portfolios“ war, bewarben wir uns erst gar nicht. Die kleinen, unprofessionellen Anzeigen wurden interessant. Eines Tages kontaktierten wir den Vermieter einer Anzeige ohne Bilder, die dort im Wedding lag, wo wir wohnen wollten. Die Wohnung war in miserablem Zustand, aber sehr passend – und das Haus gehörte einem älteren Ehepaar, dem es wichtig war, wer wir (und nicht nur unsere Nachweise) waren. Das Haus liegt im „Milieuschutzgebiet Seestraße“. Unten im Haus sind ein Trödelladen und ein Bücher-Antiquariat, manche der Nachbar*innen wohnten seit fast 40 Jahren hier.
Wir stimmten zu, uns um die Wohnungssanierung zu kümmern und alle Kosten zu übernehmen, denn die Miete war fair. Der Mietvertrag war handgeschrieben und zur Schlüsselübergabe sagte die Vermieterin „schlagen Sie hier gerne Wurzeln“. Wir fühlten uns wohl und waren bereit, unsere Kleinfamilie zu gründen.

Drei Monate nach der Geburt unserer Tochter – ein halbes Jahr nach unserem Einzug – stand das Haus plötzlich zum Verkauf.

Zu Beginn behaupteten die Eigentümer, sozialverträglich an eine Genossenschaft verkaufen zu wollen, verkauften dann aber an die Mähren AG (bzw. eine Tochter-GmbH mit fantasielosem Namen), den wahrscheinlich höchstbietenden Investor. Obwohl wir – dem Beispiel der AmMa65 folgend – uns als Mieterschaft organisierten, einen Brief an die Eigentümer schrieben, mit Bezirk und Mieterberatungen in Kontakt waren. Mähren unterschrieb ohne zu zögern die Abwendungsvereinbarung, der Bezirk konnte sein Vorkaufsrecht nicht ausüben.
Wir sind (negativ) gespannt, wie der neue Eigentümer und die neue Hausverwaltung die Situation verändern werden. Durch den ganzen Prozess und im Wissen, dass das Haus nun eine Geldanlage ist, fühlt es sich nicht mehr so an, als wollten oder sollten wir hier „Wurzeln schlagen“.