Perleberger Straße 29

Perleberger Straße 29

Die „Kreativität“ der Investoren

Gespräch zwischen langjährigem Mieter und Hausverwalter, so genau wie möglich aus der Erinnerung aufgezeichnet

Das Haus in Moabit wurde in den letzten Jahren von außen aufgehübscht, im Hof Balkone und Fahrstuhl angebaut. „Die künstlerische Kreativität ließ Engelchen fliegen, die nächste Stufe der Kreativität wird wohl mit Teufelchen kommen“, sagt ein Mieter. Mit Modernisie­rungsankündigungen wurden Mieter verschreckt, viele sind ausgezogen. Die, die geblieben sind, müssen sich wehren gegen unkorrekte Betriebskostenabrechnungen und vieles mehr. Einzelne Wohnungen wurden verkauft, im Rohzustand und teilweise noch vermietet. Jeder Neueigentümer baut auf eigene Faust. Hier der Text, „der als Gedächtnisprotokoll entstan­den ist und nicht etwa Lyrik werden sollte, was er vielleicht dennoch geworden ist„.

Der Mieter möchte anonym bleiben.

Kreativität

Im März 2014 hat die Hausverwaltung erstmals angekündigt, meine Wohnung besichtigen zu wollen. Man möchte eine Begehung zur gründlichen Prüfung des technischen Zustandes der Mietsache durchführen. Drei Termine, zu denen ich jeweils zugestimmt hatte, konnte der Beauftragte der Hausverwaltung nicht wahrnehmen. Am 22. Juli 2014, 17 Uhr, ist es dann soweit. Herr H., einer der Geschäftsführer der Hausverwaltung erscheint in meiner Wohnung. Der Mann ist um die vierzig Jahre alt, groß, sportlich, trägt Jeans und ein hellgrünes T-Shirt.
„Ja führen Sie mich bitte mal durch die Wohnung“, sagt Herr H. „Da gibt es nicht viel zu führen“, sage ich. „Meine Wohnung ist sehr übersichtlich. Aber bitte, fangen wir in der Küche an.“
H.: „Stammen Herd und Spüle von Ihnen?“ Ich: „Nein. Beides hat der Vermieter gestellt.“
Herr H. sieht sich im Bad um. Er guckt an die Decke und guckt an die Lüftung, an den Wrasenabzug, durch den vor drei Wochen Bauschutt fiel, der das Bad vollkommen verdreck­te und seinen Staub durch die Ritzen in den Flur und bis ins Wohnzimmer trieb. „Ohne Ventilator?“, fragt H. „Eben ein Wrasenabzug“, sage ich.
Herr H. geht ins Schlafzimmer und hebt den Vorhang, um das Fenster sehen zu können. Die Außenfenster der Holzkastenfenster wurden seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen und sind dabei, ihre Wasserschenkel zu verlieren. Auf dem Balkon sieht sich H. das Fenster des Wohnzimmers an und macht ein Foto.
Zurück im Wohnzimmer deutet Herr H. an die Decke. „Haben Sie die Decke abgehängt?“ „Nein“, sage ich. „Das Haus wurde in den 1970ern modernisiert. Überall im Haus wurden damals die Decken abgehängt. Niedrige Deckenhöhen waren damals Mode. Altbauhöhen wollte keiner mehr haben.“ H.: „Können wir kurz Platz nehmen?“ Ich: „Bitte.“
Herr H. legt seinen dicken Aktenordner auf den Tisch. „Hier, Ihre Mieterhöhung“, sagt er und schiebt mir ein Kuvert zu.
H.: „Um es ganz offen zu sagen, die Eigentümer möchten das Mietverhältnis beenden. Sie möchten den Mietvertrag mit Ihnen auflösen. Nun sollen Sie nicht in vier Wochen ausziehen, aber doch in absehbarer Zeit. Die Eigentümer möchten die Vertragsauflösung im gegen­seitigen Einvernehmen bewerkstelligen. Denn sie wollen die Wohnung verkaufen, und zwar leer. Ein Verkauf mit Mieter lohnt sich nicht. Klar, ein Umzug kostet Geld. Die Eigentümer würden etwas dazugeben, zwar keine vierzigtausend Euro oder sowas, aber doch eine Summe, die z.B. die Kosten für Makler, Umzug und Kaution abdeckt. Falls es nicht zu einer einvernehmlichen Einigung kommt, hätten wir da unsere Möglichkeiten. Wir können sehr kreativ sein. Wie lange sind Sie überhaupt hier drin, in dieser Wohnung?“
Ich: „Seit sechsunddreißig Jahren.“
H.: „Wie gesagt, der Umzug muss nicht innerhalb von vier Wochen stattfinden, aber doch in absehbarer Zeit. Die Eigentümer möchten planen können. Und Sie selbst? Wie sind Ihre Planungen?“ Ich: „Ich plane nicht auszuziehen.“
H.: „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Die Überlegungen der Eigentümer sind nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Ihre Wohnung ist in Ordnung. Sie sind ein sympathischer Mensch. Wir haben nichts gegen Sie persönlich. Schade, dass wir uns jetzt erst kennen­lernen. Wir hätten vielleicht schon früher in Kontakt treten sollen.“
Ich: „Wir hatten ja bisher schon sehr viel Kontakt. Ihre Maßnahmen zur Entmietung sind mir nicht entgangen. Meine Einwände und die Schreiben meiner Anwälte haben Sie stets ignoriert. Also, an einem zu umfangreichen Kontakt konnte Ihnen gar nicht gelegen sein. Mir übrigens auch nicht.“
H.: „Lassen wir das! Das ist Vergangenheit. Und nehmen Sie das bitte nicht persönlich. Vielleicht haben Sie schon gemerkt, dass wir sehr kreativ sein können. Wir haben verschiedene Möglichkeiten.“
Ich: „Das habe ich sehr wohl gemerkt. Siebzig Prozent der Mieter haben sich von Ihnen vertreiben lassen und sind ausgezogen. Ich gehöre zu den wenigen, die noch übrig sind.“
H.: „Nochmals! Die Eigentümer sind an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Wenn diese zustande kommt, erhalten Sie eine Entschädigung. Wenn nicht, werden wir kreativ. Verstehen Sie das bitte nicht als Drohung! Nicht dass wir Ihnen die Mafia schicken. Aber wir können zum Beispiel Eigenbedarf anmelden. Für das Haus liegt eine Teilungserklärung aus den 1970ern vor. Was heißt das für Sie? Dass Sie nur noch acht Monate Kündigungsfrist haben!“
Ich: „Im Grundbuch ist eine GmbH eingetragen. Wie kann eine GmbH Eigenbedarf anmelden?“
H.: „Na, zum Beispiel für einen der Geschäftsführer oder für irgendwelche Kinder dieser Geschäftsführer. Wir können auch auf andere Weise kreativ werden. Wir können in Ihre Wohnung gehen, um zu modernisieren, dann aber die Modernisierung verzögern …“
Ich: „Aber Sie können doch nicht jedes Haus, das Sie in Angriff nehmen, entmieten!“
H.: „Doch! Können wir. Es ist uns bisher jedes Mal gelungen. Gucken Sie sich hier das Vorderhaus an! Gerade sind weitere Mieter ausgezogen. Es sind nicht mehr viel da.“
Ich: „Her H., Sie können kreativ sein, soviel Sie wollen, aber Ihre Kreativität muss sich innerhalb der bestehenden Gesetze bewegen.“
H.: „Verstehen Sie doch! Wir haben nun mal unterschiedliche Interessen. Und wir sitzen am längeren Hebel. Wir sind aber jetzt noch in einer Situation, wo wir bereit sind, Sie zu entschädigen.“ Ich: „Wie hoch soll denn diese Entschädigung sein?“
H.: „Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Allzu viel können wir aber nicht bieten.“
Ich: „Ihre Beträge, die Sie angedeutet haben, Kosten für Makler, Umzug und Provision, wären mir zu wenig. Wenn ich eine neue Wohnung miete, muss ich doch mit einer viel höheren Einstiegsmiete rechnen. Und wenn ich diese Differenz dann hochrechne auf meine restliche Lebenserwartung, kommt ein Betrag zustande, den Sie wohl niemals zahlen würden oder auch nur könnten.“
H.: „Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?“ Ich: „Fünfundsechzig.“
H.: „Klar ist, wir können Ihnen keine Wohnung stellen. Haben Sie schon mal den Markt sondiert? Mietergenossenschaften bieten zum Beispiel noch günstige Sachen an.“
Ich: „Natürlich sehe ich mich um. Ich wohne zwar gerne hier, aber nicht so gerne unter dieser Hausverwaltung und diesen Eigentümern. Also sehe ich mich schon nach einer Wohnung um.“ H.: „Und wo?“ Ich: „In ganz Berlin.“
H.: „Wenn wir uns einvernehmlich einigen, könnten wir zum Beispiel sagen, es gibt keine Mieterhöhung mehr, weder gemäß Mietspiegel noch gemäß Modernisierung. Wir belassen es dann bis zu Ihrem Auszug bei der alten Miete. Also, was kann ich heute aus dem Gespräch mitnehmen? Was kann ich den Eigentümern erzählen? Bis wann wollen Sie ausziehen?“ Ich: „In diesem Jahr nicht mehr.“ H.: „Wieso nicht?“ Ich: „Ich ziehe doch nicht im Winter um.“ H.: „Wir haben Sommer.“ Ich: „In vier Monaten haben wir Winter.“
H.: „Gut. Ich rufe Sie in etwa zwei Wochen nochmals an. Vielleicht können Sie mir dann schon Genaueres zu Ihren Planungen sagen.“
Herr H. nimmt seinen Aktenordner und verabschiedet sich per Handschlag. Auf dem Teppich im Flur hinterlässt er große Spuren. Es ist der Staub aus dem Treppenhaus. Seit dreieinhalb Jahren wird nun schon das Haus modernisiert Das Treppenhaus wurde in diesem Jahr erst zwei- oder dreimal gereinigt. H. klingelt beim Nachbarn gegenüber, bei meinem letzten Verbündeten im Seitenflügel und wohl im Haus insgesamt. Die anderen sind längst vertrieben.

Das „Engel-Haus“, Perleberger Straße 29, Berlin-Moabit
►1972 – Sanierung: Heizung- u. Badeinbau
►1973 – Aufteilung in Wohnungseigentum
►1989 – Verkauf des Hauses
►2010 – junge Anzugsträger besichtigen
►2011 – Bauarbeiten starten, Hausverkauf / Modernisierungsankündigungen
►2012 – Stopp der Baustelle, Insolvenz, zu hohe Betriebskostenabrechnungen, Mieter werden eingeschüchtert
►2013 – Baustelle geht weiter, Pro Soluta führt Entmietungsgespräche, Aufzuganbau, Kunst am Bau
►2014 – 70% der Wohnungen sind leer, einige Mieter wehren sich, Räumungsklagen haben teilweise Erfolg Verkauf von Eigentumswohnungen, Anbau von Balkonen im Seitenflügel, Entmietungsgespräch (s. Text)
►2015 – Mieter gewinnen einige Prozesse, Verkauf vermieteter Eigentumswohnungen, Eigenbedarfskündigung eines Geschäftsführers
►2016 – nur noch ein Alt-Mieter im Haus und der wegen Eigenbedarfs gekündigte, der sich gegen Schadensersatz einigt und auszieht, Wohnungskäufer sind auch im Streit mit Projektentwickler – marodes Gemeinschaftseigentum (Dach, Feuchtigkeit)
►2018 – Eigenbedarfskündigung desselben Geschäftsführers beim letzten Altmieter