Sprengelstraße 38

Sprengelstraße 38

Ich komme aus einer Arbeiter*innen-Familie und meine Eltern mussten oft mir mir in eine andere Wohnung umziehen, weil sie sich kein eigenes Haus leisten konnten. Oft erfolgte die Kündigung wegen Eigenbedarf, da sich die Familie des Hausbesitzers, der selbst in dem Haus wohnte, vergrößerte. Wir zogen aber auch um, wenn die Miete anstieg, d.h. in eine preisgünstigere Wohnung. In den Wirtschaftsboomjahren wurden auch viele neue Mietshäuser, d.h. Wohnungen für Arbeiterfamilien gebaut.

1976 zog ich nach München, wo ich zunächst in einem Hotel arbeitete und wohnte. Ein Jahr später zog ich in ein Wohngemeinschaft. Es war ein schöner Altbau mit Stuck an den Decken. Ich arbeitete in einem Handwerkskollektiv zusammen mit einigen von meinen Wohngenoss*innen und zum ersten mal in meinem Leben war ich mit meiner Lebenssituation glücklich. Dies lag vor allem an der Wohngemeinschaft, in der ich mich sehr wohl fühlte. Das gesamte Haus in der Hans-Sachs-Str. 10, nähe dem Viktualienmarkt war ein Wohngemeinschaftshaus. Es stand zwischen einer Lesben- und einer Schwulenbar.

Viele der Bewohner*innen studierten, viele waren aber auch sogenannte “Hippies”, die oft auf Reisen waren. Wir kannten uns alle im Haus und besuchten uns gegenseitig. Auch die Hausbesitzerin lebte mit zwei Freund*innen im Haus. Sie war schon älter, auch ihre zwei Mitbewohner*innen. Leider verkaufte sie 1979 das Haus, erhielt aber – vertraglich vereinbart – mietzinsfreies Wohnrecht auf Lebenszeit. Vieles am Haus war renovierungsbedürftig und sie wollte die Aufgabe der Renovierung an einen neuen Hauseigentümer übertragen und sich von dem Verkaufserlös einen guten Lebensabend gönnen. Als ich mit ihr sprach, schwärmte sie mir vor, wie nett der neue Eigentümer sei und dass er das Haus “richtig schön” machen würde. Er wollte es verschönern, jedoch nicht für uns, sondern für den Profit. Doch zunächst begann er mit umfangreichen Bauarbeiten. Kurz darauf erhielten alle Wohngemeinschaften die Kündigung. Diese konnten wir in der 1.Instanz erst einmal abwehren. Nur eine Wohngemeinschaft zog zunächst aus. Die Wohnung von ihr wurde als Vorzeige-Eigentumswohnung ausgebaut. Alle unsere Wohnungen sollten zu Eigentumswohnungen gemacht werden. Nach dem Kauf meldete der neue Wohnungseigentümer Eigenbedarf an. Parallel dazu wurde der Vertreibungsversuch durch Modernisierung immer aggressiver. Mal wurde das
Wasser ohne Ankündigung abgestellt, dann der Strom und anschließend die Heizung.

Das gesamte Haus war eingerüstet und es gab natürlich täglich Lärm und Dreck. Unser Rechtsanwalt hatte viel zu tun, da er ständig Abmahnungen bzw. “einstweilige Verfügungen“ schreiben musste und zum Gericht damit zog. Im noch sehr kalten und frostigen März 1980 wurden gar die Fenster ausgebaut und die Heizung abgestellt.

Die frühere Hausbesitzerin wurde sehr krank und verstarb an einer Lungenentzündung. Wir hatten wieder eine “einstweilige Verfügung” eingereicht. Und nicht nur das: Zusammen mit vielen anderen besetzten wir eine Kirche und später ein leerstehendes städtisches Haus. Dies, um auf die gravierende Wohnungsnot hinzuweisen und auf die Verbrechen, die durch solch aggressive Modernisierung/Vertreibung an uns Mieter*innen stattfanden. Das Amtsgericht war uns noch gnädig, aber vor der Berufungskammer wurden
die Kündigungen bestätigt.

Da es in München keine preisgünstigen Wohnungen mehr gab, zog ich – mit einem laufenden Verfahren wegen “Hausfriedensbruch“ im Nacken – nach Berlin. Doch gerade passiert in unserem Wohnhaus in der Sprengelstraße 38 Ähnliches, wie in München.